Storytelling im Raum

Was in Berlin passiert, ist gemeinhin immer von Interesse, möchte man meinen: Politik, Party, Preziosen. Alles, was sich abseits des Mainstreams bewegt, ist dort bestens aufgehoben und erhält viel Aufmerksamkeit. So auch die junge Architektur- und Interior-Design-Riege, die wir in diesem Artikel vorstellen möchten. Divers, souverän, eigen – und mit einem Wahnsinnspotenzial.

Berlin ist ein Nährboden, ein kreativer Schaffensraum, von dem aus Impulse in die ganze Welt gesendet werden. International gut vernetzt, mit vielen regelmäßigen Messen und Events und einer Kunstszene, die den Weg gepflastert hat für eine nahtlose Verlängerung in Architektur und Design. Berlin ist eine Plattform des Lernens, des Sehen-und-gesehen-Werdens: Menschen beobachten, was in der Metropole los ist und kommen dorthin, um sich die Dinge selbst anzusehen – was natürlich den Reiz steigert, dort selbst schaffend tätig zu sein.

Fabian Freytag, Ester Bruzkus und Sigurd Larsen gehen seit einigen Jahren buchstäblich durch die Decke. Sie alle einen umfassende, ganzheitlich gedachte Raumkonzepte und die Ergänzung von Architektur durch Möbeldesign und Ladenbau. Außerdem besticht ihr Mut zur Farbe oder zu ungesehenen Materialien, die elegant eingesetzt werden, sowie ein inhärentes Bewusstsein für echte Nachhaltigkeit in der Branche. Laut AD Magazin gehören sie zu den 100 wichtigsten Gestalter*innen 2023.

Fabian Freytag

Im Architekturstudium an der Universität der Künste Berlin gestaltete Fabian Freytag Filmkulissen, was einen deutlichen Einfluss zeigt: Gutes Design sollte eine gute Story erzählen – „wie ein aufregendes Skript“, erklärt er in einem Interview. Seine bühnenhaften Interiors zeichnen sich etwa aus durch Spiegel, Lichteffekte und expressionistisch-zackige Formen, verblüffende Lichtspiele oder farbige Streifenmuster, durch die mutige Akzente gesetzt werden. Hervorzuheben sind darüber hinaus spannende Deckenbemalungen mit Trompe-l’Œil-Effekt, die etwa eine Kuppelwirkung erzeugen, wo keine Kuppel ist. Freytags Interiors changieren zwischen Thriller und Komödie; Gebäude, Viertel, Kund*innen werden analysiert, durchdrungen, ihre Geschichte wird wahrgenommen, wertgeschätzt und darf Einfluss nehmen.

„Räume entstehen durch den Kontext, den wir ihnen geben.“ – Fabian Freytag

Als Case ist zum Beispiel der Noblego-Flagshipstore im Adlon zu nenen, dem traditionsträchtigsten Hotel Berlins. Inspiriert von der Wiener Moderne und Adolf Loos’ „American Bar“, bietet dieser Zigarrenshop und designierte Smoke Room einen Zufluchtsort des Genusses: Das besondere Ritual des Zigarrerauchens und das einzigartige Gefühl der darin liegenden Besinnlichkeit sollte in eine feinsinnige Formensprache übersetzt und eindrücklich gewürdigt werden. Konsolen aus grünem Marmor, die für Freytag so typische Illusion einer eindrucksvollen Kassettendecke, feinste Polstermöbel und der Bezug zur Moderne durch einen großen „Noblego“-Schriftzug aus erleuchtetem mundgeblasenem Glas.

So, wie Menschen Museen und Galerien besuchen, um Kunstwerke zu betrachten, so soll man auch Inneneinrichtung erleben können: „Wir mischen Vintage mit Neu, Kontemporär und Alt, um ein Gefühl von Kopfkino zu kreieren“, sagt Freytag in einem Interview. Moderne Wunderkammern aus gesammelten, gefundenen und erfundenen Objekten.

Ester Bruzkus

„Ich bin eine Minimalistin mit Hang zur Opulenz“, sagt Ester Bruzkus über sich selbst. Und auch ihr Studio besteht aus Jäger*innen und Sammler*innen: „Wir lieben es, zu sammeln. Wir sammeln Bilder und Farben, die uns aus dem Herzen sprechen und die wir auf unsere eigene Weise kombinieren.“ Nach einem Studium an der renommierten School of Architecture in Paris absolvierte Bruzkus Karriere-Etappen wie Massimiliano Fuksas in Paris und Zvi Hecker in Tel Aviv. Der Durchbruch kam mit der Neugestaltung der Amano-Hotelkette in Berlin. Auch bei ihrem Studio lassen sich Tendenzen zur kreativen Sinnestäuschung erkennen: „Wir lieben Räume in Räumen, das Verwischen von Innen und Außen“, sagt Ester Bruzkus in einem Interview. Auch sie steht für unkonventionelle Farbkombinationen und ungesehene Materialkontraste: Komposition, Synergie, Definition.

Das gewisse Extra, der Raum zum Erlebnis, gleichzeitig eine perfekte Integration von Funktionen – eine neue Benchmark kristallisiert sich heraus.

Ein Case, den wir gern vorstellen möchten: das KaDeWe Café. Kühler Edelstahl trifft auf verspiegelte Metalle und orange- und lavendelfarbene Pulverbeschichtungen sowie zwei ganz unterschiedliche Arten von Terrakotta-Oberflächen. Hier scheint alles zu stimmen: unerwartete Details und Kontraste zwischen dick und dünn, scharf und weich, geschwungen und gerade, rau und glatt, einfach und opulent, bunt und zurückhaltend, verspielt und funktional. Aufenthaltsqualität wird hier großgeschrieben, denn auch bei Bruzkus steht bewusstes Storytelling hinter jedem inszenierten Überraschungsmoment, der Kontraste vereint und zeitgenössisches Design selbstbewusst auflöst.

Sigurd Larsen

Design kann Probleme lösen. Nicht zuletzt etwa das des Nachhaltigkeitsanspruchs. So denkt auch der dänische Architekt und Möbeldesigner Sigurd Larsen, der in Berlin lebt und arbeitet: Er entspringt der School of Architecture der Royal Academy of Fine Arts in Kopenhagen und absolvierte danach Stationen wie das OMA Rem Koolhaas in New York, MVRDV in Rotterdam und Topotek1 in Berlin, zudem hat er eine Professur an der Berlin International University inne. Im Vergleich zu den zuvor vorgestellten beiden Interior-Designer*innen sind seine Konzepte deutlich schlichter und konzentrieren sich nach eigener Aussage auf „Funktionalität in komplexen Kontexten“. Hinzu kommt außerdem eine sozialpolitische Komponente: „Es fehlt Wohnraum. Und das ist ein Problem. Die nachhaltige Antwort ist, dass wir enger zusammen wohnen. Aber mit mehr Aufenthaltsqualität.“

„Wir arbeiten mit Materialien, die über die Zeit von allein immer schöner werden. Wenn wir etwas gestalten, das nicht 200 Jahre lang hält, dann haben wir etwas falsch gemacht.“ – Sigurd Larsen

Auch bei ihm finden sich Raum-in-Raum-Elemente und in Sachen Material der Schwerpunkt Holz. Doch man darf sich nicht täuschen lassen – das Spielerische kommt nicht zu kurz. Wir möchten stellvertretend für diesen Aspekt seine Arbeit für das Michelberger Hotel in Berlin vorstellen, die auch nach mehr als einem Jahrzehnt ihresgleichen sucht und etwa 2016 den International AIT Award „Best Hotel Room“ abstaubte. Schlichte, große, hohe Räume werden durch naturbelassene Kiefernholzverkleidungen und -stützen clever unterteilt, ohne die Offenheit des sechsstöckigen Fabrikgebäudes einzubüßen. Einzig abgeschlossener Raum ist meist nur das WC, die übrige Nutzung ist intelligent verwinkelt und zeichnet sich – je nach Zimmerkategorie – durch individuelle Hochbettlösungen, maximale Platzausbeute oder frei stehende Badewannenkonzepte aus. Ob Retail, Hospitality oder Private Homes, ein Schuss dänischer Lässigkeit ist immer inklusive.

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