Am PoS der Zeit
Ohne Experience geht in Sachen Shopping heute nichts mehr, will eine Brand als innovativ gelten. Wir stellen internationale Beispiele vor, die Online und Offline preisverdächtig gut in Balance halten und das Konzept des zeitgemäßen sogenannten kanalneutralen Retails mitgeprägt haben – die Verlängerung ins Analoge.
Studien zeigen, dass Shopping-Erfahrungen dann besonders positiv wahrgenommen werden, wenn der Übergang zwischen Online und Offline nahtlos funktioniert. Das Auflösen besagter Trennschärfe haben wir beispielsweise Vorreitern wie Ace & Tate zu verdanken. Gründer Mark de Lange setzt seit 2013 auf Kreativität und junges, ungesehenes Design – sowohl beim Brillensortiment der Niederländer*innen als auch mit Blick auf das Interiorkonzept und den sonstigen Markenauftritt. Schon immer setzt das Label auf eine starke Online-first-Mentalität, macht das physische Einkaufen aber zum Parallelerlebnis, denn man trifft auf innovativ und individuell gestaltete und konzipierte Shopflächen in bester Lage und mit sinnvollem Service wie Sehtest und Ausmessung. Die Stores wurden eine logische Erweiterung, um Real-Life-Erfahrungen bieten zu können und das Branding durch den Faktor „Marke im Raum“ zu bereichern: Look & Feel ähneln einer Galerie, die man inspiriert verlässt, aber nicht gebunden an den Vertriebskanal.
„Weil wir jedem Store sein eigenes Design geben, können wir mit Designer*innen und Kreativagenturen experimentieren, die uns interessieren“, sagt Mark de Lange, der Gründer von Ace & Tate.
Und die optimale Verzahnung im Service? Beratung erhält man nicht nur in den Stores, sondern auch durch Mitarbeiter*innen über Social Media, WhatsApp, Telegram, Skype, E-Mail und natürlich per Telefon in mehreren Sprachen.
Der Trend geht sogar wieder hin zum Offlinehandel: E-Commerce-Händler eröffnen dezidiert Shops in bestimmten Lagen. Bonprix etwa hat den Sprung vom Bestellkatalog zum Webshop und schließlich in die Hamburger Mönckebergstraße geschafft und nennt das Konzept „Fashion Connect“. Anstatt voller Regale und langer Schlangen an Anprobe und Kasse erwartet die Besucher*innen eine voll assistierte Shoppingtour per bonprix-App. Mit dem eigenen Smartphone können die im Laden gezeigten Produkte gescannt, zur sofortigen Anprobe in die Kabine bestellt und über den Easy-Check-out gekauft werden.
Weniger bekannt, aber keineswegs weniger innovativ operiert der Schweizer Konzern Meier Tobler, Großhändler und Systemanbieter für Gebäudetechnik. Die Brand gewährt bestehenden Onlineshop-Kund*innen exklusiven 24/7-Zutritt zu den Ladengeschäften. Über die Shop-App erhalten zum Beispiel Handwerksbetriebe, die nach Ladenschluss noch dringend Material brauchen, QR-Code und Tür-PIN für den Zugang. Sie scannen die Waren selbst, während im Hintergrund die Fakturierung im Warenwirtschaftssystem läuft. Für diese Innovation wurde das Unternehmen sogar jüngst beim Schweizer Digital Commerce Award in der Kategorie „Omnichannel“ ausgezeichnet.
Kanal? Neutral!
Man hasst es oder man liebt es: Trotz Kritik ist Amazon aus unseren Leben nicht mehr wegzudenken. Und wartet mit Offline-Konzepten auf, die es so definitiv noch nicht gab: In den USA eröffnen derzeit Brick-and-Mortar-Läden wie „Amazon Books“, „Amazon Go“ und „Amazon 4 Stars“. Clever, Produkte mit Top-Ratings zwischen vier und fünf Sternen auch offline anzubieten – Kund*innen gestalten das Angebot also quasi passiv mit. Bücher direkt aus dem weltgrößten Fachnetzwerk zu beziehen, hat definitiv seine Vorteile, ebenso der Self-Check-out-Supermarkt Amazon Go.
„Die wirkliche Chance eröffnet sich, wenn Online und Offline nicht entgegengesetzte, sondern integrierte Kontaktpunkte sind, die der Kunde genießen soll und die Teile ein und desselben homogenen Einkaufserlebnisses sind“, sagt Nathan Watts, ein britischer Creative Director, der sich auf Experience Design spezialisiert hat. Eins ist also klar: Immersion. Kund*innen gehen einfach gern auf Shopping-Reise, wie Trend- und Marktforschung belegen. Und damit diese Reise nicht ins Stocken gerät oder plötzlich im stationären Handel endet, ist es wichtig, Online- und Offline-Kanäle gleichberechtigt und eng verzahnt zu integrieren.