Hamburgs historischer „Tinderstieg“

Erst diente er dazu, das Alsterwasser aufzustauen, später stauten sich dort die Hormone: Der Hamburger Jungfernstieg erfreut sich bis heute großer Bekanntheit – doch nicht in jedem Jahrhundert gelang das aus dem gleichen Grund.

Der Hamburger Reesendamm. Den kennen Sie nicht? Das liegt wahrscheinlich daran, dass er schon seit Langem nicht mehr so heißt; aber den Ort an sich kennen Sie garantiert. Achtung, erst einmal unnützes Wissen voraus: „Reesen“ ist übrigens ein Begriff aus der Seemannssprache und bedeutet so viel wie „schnacken“ – für alle Nicht-Norddeutschen meint das „eifrig erzählen“. Aber nun zum Thema: Gemeint ist der Jungfernstieg in der Hamburger City.

Heute verbindet man diese Straße oder besser gesagt diesen ganzen City-Bereich an der Alster mit Shopping, dem luxuriösen Einkaufspalast Alsterhaus und dem gottgleich hervorstechenden Apple-Logo des riesigen Hamburger Stores. Zahlreiche weitere geschichtsträchtige Kontorhäuser und Prunkfassaden finden sich in dieser Lage, wo auch Alsterrundfahrten und Cafés großen Andrang unter internationalen Tourist*innen wie Einheimischen finden. Fast überflüssig zu erwähnen: Es handelt sich hier natürlich um eine der ultimativen 1A-Lagen in Deutschland.

Doch die Geschichte des Jungfernstiegs geht weit zurück. Sein Bau begann noch zu Störtebekers Zeiten, doch seit dem 19. Jahrhundert trägt er den berühmten Namen, der darauf zurückgeht, dass wohlhabende Hamburger Familien dort flanieren gingen. Und das aus einem einfachen Grund: um den Heiratsmarkt anzukurbeln. Familien mit unverheirateten jungen Damen, damals „Jungfern“ genannt, hielten sich sonntags in der City auf, um Verbindungen zu knüpfen und ihre Töchter so „unter die Haube“ zu bringen. Was nicht nur mit schicken Outfits, sondern sicher mit viel Hoffnung verbunden war, konnte aber auch genossen werden, denn die Flaniermeile mit dem herrlichen Blick auf die Binnenalster war schon damals ein nettes Fleckchen in der Mitte der Hafenstadt.

„Da lässt sich gut sitzen, und da saß ich gut und dachte, was ein junger Mensch zu denken pflegt, nämlich gar nichts, und betrachtete, was ein junger Mensch zu betrachten pflegt, nämlich die jungen Mädchen, die vorübergingen.“

– Heinrich Heine, Dichter

Der Jungfernstieg war zudem die erste asphaltierte Straße Deutschlands im Jahr 1838, was den Prunk-Faktor damals deutlich erhöhte. Der Weg am Wasser wurde üppig begrünt, was ihm sogar für eine Zeit den offiziellen Namen „Palmaille“ (nach der schönen Allee in Altona) einbrachte. Doch im Volksmund bildete sich der heutige Name heraus, der schließlich blieb. Als ein paar Jahre zuvor, in 1827, der Neue Jungfernstieg als Erweiterung um die Westseite der Binnenalster gebaut wurde, war Platz geschaffen für ganze Horden an Menschen, die sich Zerstreuung samt einer gesicherten Zukunft für die nächste Generation wünschten. Ausnahmsweise also nicht aus stadtplanerischer, sondern vor allem aus gesellschaftlicher Sicht ein wichtiger und hochfrequentierter Ort.

„Das Ufer ziert ein Gang von Linden, in dem wir holde Schöne sehen, die dort, wenn Tag und Hitze schwinden, entzückend auf- und niedergehen.“

– Friedrich Hagedorn, Dichter

Doch wer stundenlang flaniert, dem dürstet irgendwann nach Erfrischung. Und es bedurfte nur etwas französischem Input durch den zeitgenössischen Architekten und Stadtplaner Vicomte Augustin Lanclot de Quatrebarbe, der 1799 mit dem Stadtrat gemeinsame Sache machte und den Vorgänger des heutigen Alsterpavillions erbaute – so stand dem gemütlichen Verweilen nichts mehr im Wege und der Jungfernstieg nahm nach und nach seine heutige Struktur an. Geht man im Jetzt dort entlang, so sieht man nicht nur shoppende Menschen, sondern auch die, die nur kommen, um an diesem schönen Ort in der Sonne zu sitzen, die Möwen zu füttern und die Aussicht aufs Wasser zu genießen. Völlig kostenlos und mit genug Raum zur nächsten Picknickdecke.

Das wusste auch der dänische Schriftsteller Hans-Christian Andersen, der gern und oft nach Hamburg reiste: „Der Jungfernstieg wimmelt von Spaziergängern. Man segelt auf der Alster, und ich hatte Wein und Punsch auf dem Tisch und einen herrlichen Rosenstrauß, den ich von einer Vierländerin für zwei Schillinge kaufte. Der Abend ist so herrlich, die Wolkenpartien sind so malerisch, Türme und Häuser spiegeln sich im Wasser der Alster. Es ist, als hätte die alte Kaufmannsstadt ihre besten Kleider angelegt.“ Sehen und Gesehenwerden – besser zusammengefasst, als eine Kampagne des Stadtmarketings es jemals könnte, oder?

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